Was für ein Brocken, was für ein tolles, tolles Album! Im Januar erschien „Insomnia“ von Alarmsignal, Heimat von Songs wie „Deutsch mich nicht voll!“ mit Chris Kotze von Kotzreiz, dem Madsen-Duett „Rest Your Eyes“ oder auch „Scherbe / Licht“. Ein aufregendes, engagiertes, intensives und sehr abwechslungsreiches Punkrock-Album. „D’accord“ klingt so ein wenig nach Die Toten Hosen, wurde aber mit Shirley Holmes eingespielt, „Nichts sehen, nichts hören“ kommt mit Offbeats und Broilers-Note , während „Scherbe/Licht“ Muff Potter und Feine Sahne Fischfilet vermischt, in „Neonlichter“ wird sprechgesungen, „Johanna“ ist eine Klavier-Ballade. Uff. Super-Album! Super Show: Am 12. April spielen Alarmsignal im Uebel und Gefährlich. Vorab fragten wir bei Steff (Gesang, Bass) und Bulli (Gitarre, Gesang) einmal nach.
Wie fühlt man sich kurz nach dem Release einer Platte?
Bulli: Ich bin total happy. Das Feedback ist wirklich super positiv. Wir haben zwei Tage nach unserem letzten Konzert im September 2023 angefangen, an dem Album zu arbeiten. Und seitdem haben wir bis heute fast täglich mit der Platte verbracht. Von daher ist die Freude groß, endlich sein Schaffen der Welt präsentieren zu können. Und die Tatsache das hieran so viele Menschen wirklich Freude haben, ist natürlich auch dass, was man sich wünscht.
Steff: Müde, weil eine neue Platte von vorne bis hinten ein kräftezerrender Marathon ist. Happy bin ich auch, dazu erleichtert, aber eben auch müde.
Was steht jetzt auf dem Programm? Proben für die Tour oder Pause machen oder was ganz anderes
Bulli: Ich brauche eigentlich erstmal eine Pause. Und das sage ich, obwohl wir für die Leute draußen gerade knapp 1,5 Jahren in der Pause waren, haha. Aber bandintern gab es keine und es geht jetzt auch direkt mit den Proben für die Tour im April los. Ich denke, da werden sich nochmal irgendwo 2 Wochen finden, um in die Sonne zu fahren.
Wie seid ihr mit den Reaktionen und Reviews zu „Insomnia“ zufrieden?
Bulli: In erster Linie machen wir Musik für uns. Das ist Mentalhygiene – wir brauchen das, um selbst mit der Welt klarzukommen. Doch die Tatsache, dass das Album so gut angenommen wird, freut uns natürlich total. Denn die Songs und der Sound klingen anders als sonst, wir haben sehr viel experimentiert und einige Lieder fallen völlig aus der Reihe. Und dass gerade diese auch immer wieder positiv hervorgehoben werden, ist natürlich einfach toll für uns.
Welche Rolle wird die Platte auf der kommenden Tour spielen? Und wie macht ihr das mit den Feature Parts?
Steff: Wenn man ´ne neue Platte hat, will man als Band natürlich auch was davon live spielen. Ich denke, es wird ´ne gute Mischung aus alten Klassikern und neuen Stücken. Was die Feature-Parts betrifft, passen wir uns den Umständen an. Manche unserer Gäste gehören für uns schon mit zur Band, sind also ohnehin häufig mit dabei, manchmal spielen wir auch gemeinsame Konzerte mit deren Bands und dann können sie zu uns auf die Bühne hüpfen und wenn niemand vor Ort ist, übernehmen wir Gästeparts selber.
Bulli: Die „No Sleep Till…“ Tour ist eine Jubiläumstour und auch eine Releasetour. Wir arbeiten gerade an der Setlist, aber werden auf jedenfall auch neue Songs spielen. Wir haben natürlich auch selbst total Bock drauf. Und was die Features angeht – da werden wir schauen, was passiert.
Wie kam es zu den Features und wie lief das dann? Haben alle ihre Parts geschrieben und wart ihr auch zusammen im Studio?
Steff: Wir erzählen oder verbinden mit jedem Song eine Geschichte und versuchen, das jeweilige Thema des Textes so zu transportieren, dass es möglichst stimmig ist. Das schließt natürlich auch unsere Features mit ein, die wir passend zum Song wählen. Manchmal haben wir schon beim Songwriting eine Idee, welche Person gut passen würde, manchmal aber auch erst bei oder nach den Aufnahmen. Da es meistens Menschen aus der Szene oder aus unserer erweiterten Bubble sind, gibt’s ´ne Anfrage auf kurzem Dienstweg und dann läuft das meistens. Die Parts schreiben wir selber, aber wir sind natürlich jederzeit offen für andere Ideen oder Bereicherungen.
Mit wem möchtet ihr unbedingt mal was machen?
Steff: Was soll nach diesen Feature-Gästen noch kommen? Mehr geht doch eigentlich nicht!
Ihr habt immer mal wieder kleine „Stilbrüche“ wie Offbeats oder ein Klavier. Wo setzt ihr da die Grenze und habt ihr bewusst drauf geachtet, wie viel / oft ihr mal „anders“ klingt? Ohne ja wirklich anders zu klingen, klingt ja immer nach Alarmsignal.
Bulli: Ich persönlich bin super experimentierfreudig. Man muss dann im Detail immer schauen, dass alle von uns cool damit sind. Aber wir sind vier Individuen mit vier unterschiedlichen Musikgeschmäckern und jeder bringt dann Ideen, Einflüsse etc. mit. Ich persönlich lass mich nicht davon limitieren, was man als „Punkband“ darf oder was zu uns passt. Theoretisch passen „Neonlichter“ oder „Johanna“ auch nicht zu uns, aber praktisch schon.
Steff: Wir haben unsere Schublade lange Zeit nicht verlassen und die Frage, ob dieses oder jenes noch nach Alarmsignal klingt, hab´ ich mich früher bei fast jedem neuen Song von uns gefragt. Mittlerweile hab´ ich mich davon etwas befreit, weil der Alarmsignal-Widererkennungswert irgendwie immer treu war und ich mittlerweile weiß, dass er nicht verschwindet, nur weil wir hin und wieder mal über den Punktellerrand schauen. Eine Grenze müssen wir uns nicht setzen, denn dadurch, dass wir abseits der Band, neben Punkrock, alle verschiedene musikalische Einflüsse oder Vorlieben haben, bleiben Punkrock und Experimentierfreude im Gleichgewicht oder verschmelzen zu einer Einheit.
Ihr habt großartige Texte mit großartigen Inhalten. Eure Fans werden euch zustimmen, wie schafft man es aber, dass euch auch andere Leute zuhören?
Steff: Das lässt sich pauschal glaub ich nicht beantworten. Manche Leute hören dir von vornherein nicht zu, weil du Punkrock machst, andere hingegen stören sich an deinen Ansichten und wir sind jetzt auch nicht darauf aus, alle anzusprechen und abzuholen. Wie Bulli bereits sagte, machen wir die Musik in erster Linie erstmal für uns. Sie ist unser Ventil. In unseren ganzen Baustellen und in den vielen persönlichen Geschichten, die wir verarbeiten und erzählen, finden sich so einige Menschen wieder und es genügt und freut uns, wenn wir solche Menschen immer wieder berühren und erreichen. Klar würden wir uns nicht dagegen wehren, wenn´s noch etwas mehr wären, aber wir würden uns dafür nicht verbiegen. Die Frage stellt sich mir aber auch gar nicht. Wir sind wie wir sind und ich freue mich darüber, dass Menschen uns hören, eben weil wir sind, wie wir sind. Und wer´s massenkompatibler möchte oder braucht, findet ausreichend Stadionpunkrockbands.
Eure letzte Platte kam mitten in der Pandemie. Hattet ihr mal überlegt mit dem Release zu warten?
Steff: Wir haben sogar etwas gewartet, allerdings gezwungenermaßen, weil es pandemiebedingt auch in den Presswerken zu Verzögerungen kam. Einen Grund, von uns aus zu warten, sahen wir nicht, denn es war in dieser Phase ja nicht absehbar, wie lange sich das noch alles ziehen würde. Ganz im Gegenteil. Wir wollten einfach so schnell wie möglich raus damit und nicht irgendwie taktieren.
Welchen Einfluss hatte „Ästhetik des Widerstands“ auf „Insomnia“? Wolltet ihr etwas bewusst wieder so machen (außer mit Shirley Holmes zu spielen) oder extra anders?
Steff: Ich würde sagen keinen, außer dass sie sich als Messlatte hin und wieder ins Gespräch brachte. Die “Insomnia“ hatte sicherlich Bock an der Ästhetik des Widerstands“ anzuknüpfen, war aber letztendlich ein völlig neues Fass, dass aufgemacht wurde. Geschrieben zirka vier Jahre nach den Songs der “Ästhetik“, unter anderen Umständen und in einer anderen Zeit, in der die Welt in und um uns herum, sich natürlich auch wieder verändert hat. Vielleicht nicht in allen Punkten, aber in einigen. Pläne, etwas genauso oder extra anders zu machen, hatten wir nicht, da sich das Meiste bei uns ergibt oder aus der Stimmung des jeweiligen Songs heraus entsteht. Es muss halt authentisch sein und passen, dass ist die Hauptsache und so kanns dann auch passieren (wie im Fall von Shirley Holmes), dass sich etwas wiederholt. Aber nicht, weil es anfangs darauf ausgelegt war sich zu wiederholen, sondern, weil der Inhalt des Liedes uns im Verlauf des Prozesses dahin gebracht hat.
Worauf freut ihr euch in 2025 am meisten und was bereitet euch – vielleicht abgesehen von Nazigewalt und AfD – am meisten schlaflose Nächte?
Steff: Eigene Baustellen, mit denen wir hier aber nicht den Rahmen sprengen wollen und ganz aktuell u.a. das Duo Trump / Musk, die beide nicht nur verrückt, sondern brandgefährlich sind. Was die Freude angeht, hm, gute Frage, ich freu mich, wenn die Sonne scheint und wenn der Sommer da ist und würde mich freuen, wenn´s auf der Erde einfach weniger Arschlöcher und mehr gute Menschen geben würde und auch im Punkrock weniger Rockstars und Arschlöcher. Na ja, der Sommer und die Sonne kommen bestimmt. Immerhin.
Interview: Mathias Frank
Foto: Alexander Schank