Vier Tage Reeperbahn Festival. Zwischen Clubs, St. Pauli Kirche, Elphi und Straßenbühnen. Zwischen Hype, Headlinern und dieser einen leisen Entdeckung um die Ecke. Hamburg hat wieder gezeigt, was es kann: Vielfalt, Überraschung, Nähe.
Das Line-up wirkte dieses Jahr etwas kuratierter, die Wege gefühlt kürzer, der Fokus klarer. Vielleicht war genau das der Grund, warum man sich öfter ganz auf ein Set einließ statt nur Club Hopping zu betreiben. Und selbst ohne Festivalpass gab’s mehr als genug zu sehen: auf dem n-joy Reeperbus, im Village oder bei spontanen Gigs auf dem Spielbudenplatz. Wer Glück hatte, konnte hier ganz nebenbei Acts erleben, die sonst längst große Hallen füllen. Und immerhin stand auch Lewis Capaldi mal auf dieser kleinen Bühne im Indra, einer dieser flüchtigen Momente, die sich wie durch einen Türspalt in die Musikgeschichte schieben.
Auf der Stage 15 überzeugten Ben Ellis und Caleb Hearn mit starken Sets, konzentriert, stimmlich auf den Punkt, offen in der Ausstrahlung. Dass der Club etwas versteckt lag, sorgte für Luft und Raum, statt Enge und Gedränge. Und für das Gefühl, einer dieser seltenen Intim-Momente geworden zu sein, bevor es größer wird.
Fredrik lieferte am n-joy Reeperbus eine ruhige, direkte Performance. Einfach nur Stimme, Song und Straße, keine Ablenkung, nichts dazwischen. Auch The K’s nutzten die Chance, erst akustisch und später im Indra im vollen Bandsetting. Britischer Indie, wie er sein soll: geradeaus, lebendig, laut und mit Haltung.
Skaar im Club 25 brachte nordische Klarheit in den Club, kraftvoll, durchdacht, mit großem Gespür für Timing und Dynamik. Benjamin Steer füllte den Bahnhof Pauli mit einem Auftritt, der zurückhaltend begann und sich spürbar steigerte. Eine dieser Shows, bei der plötzlich alles stimmt: Raum, Publikum, Songwriting.
Einer der magischsten Orte in diesem Jahr: die St. Pauli Kirche. Erst Goodwin feat. Lambert am weißen Flügel, wie immer maskiert, fast wie eine Silhouette. Reduziert, zerbrechlich, auf den Punkt. Dann I Am Roze, stimmlich überragend, voller Tiefe, mit dieser glasklaren Präsenz. Es gab Standing Ovations in Dauerschleife und das vollkommen zurecht. Holly North im Häkken war auch eines dieser versteckten Highlights. Düster, detailverliebt, druckvoll. Ein Sound-Hybrid aus Club und Sphäre, der sich Schicht für Schicht öffnete. Weniger Show, mehr Sog. Eines der Sets, das hängen blieb.
Und dann gab’s natürlich auch die großen Namen, ganz ohne große Ansage. Nina Chuba beim Überraschungsauftritt auf der Amazon Stage im Festival Village: Pyro, Punchlines, Präsenz. Musikalisch präzise, visuell spektakulär und trotzdem nahbar. Kraftklub zogen später über den Kiez, 15 Kurzauftritte in einer Nacht. Der Kiez wurde Bühne, das Festival zur Schnitzeljagd.
LIN überzeugte auf der Spielbude XL mit starker Präsenz und klarer Message, The BossHoss brachten den Reeperbus zum Wackeln und setzten später auf der großen Bühne nochmal einen drauf. Everything Everything verwandelten das Docks in einen Klangraum aus Energie und Komplexität, strukturiert, vielschichtig, absolut live-tauglich.
Die ganz großen Club-Surprises wie einst Muse im Docks oder Mando Diao im Bahnhof Pauli blieben zwar aus, aber das Reeperbahn Festival bleibt das, was es am besten kann: überraschend nah, stilistisch weit, emotional andockend. Und wie jedes Jahr: Nicht alles gesehen. Aber genug, was bleibt. Sichert euch jetzt schon euer early bird Ticket für nächsten Jahr 16.-19. September 2026.
Foto: Marvin Contessi