Manchmal sind es die leisen, beinahe unhörbaren Töne, die unsere Seele berühren. HAEVN haben es geschafft, mit ihrer Musik eine einzigartige Atmosphäre zu schaffen, die einen in eine ganz eigene transzendente Welt abtauchen lässt.
Mit ihrem neuen Album „Wide Awake“ zeigt sich das niederländische Duo von einer fragileren und persönlicheren Seite und schafft genau damit einen besonders intimen Raum für innere Stille, Selbstreflexion und tiefe Emotionen. Ein Album, das wie eine zarte Umarmung der Seele wirkt – innig, doch voller Sensibilität. Jeder Track ist wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück auf einem dynamischen Fundament entfaltet, welches getragen wird von komplexen Cinematic-Pop Arrangements sowie monumentalen orchestralen Klangkulissen, die jedem Song eine epische Intensität verleihen. Hierfür haben sich die Niederländer ein 40-köpfiges Streicherensemble dazugeholt, welches ihre Musik nochmal auf eine kraftvollere und gleichsam intimere Ebene hebt. HAEVN schaffen es, große cineastische Kompositionen auf eine Weise zu inszenieren, die nicht überwältigen, sondern mit einer liebevollen Detailverliebtheit ein Fenster in die innere Welt öffnen und dabei eindrucksvoll in ihrer Tiefe und gleichsam warmen sensiblen Art den Zustand der Fragilität, dem Hoffen und Streben nach Morgen untermalen. Nicht aufdringlich. Viel mehr verleihen HAEVN der Gefühlswelt eine neue Ausdrucksebene sich zu entfalten und geben uns das Vertrauen, dass gerade in den schwersten Phasen des Lebens die tiefsten Bindungen entstehen. Denn das Leben ist ein Tanz zwischen Licht und Schatten.
Wir sind immer noch ganz beseelt und schwelgen in dieser warmen Ekstase mit der die beiden uns nach ihrer sehr intimen, reduzierteren Show in der Laeiszhalle zurückließen. Aber auch der ein oder andere pulsierende Ausbruch, vor allem mit Neco Novellas, der als special guest dabei war, ging unter die Haut. Momente des Innehaltens, des Zurückfindens zu sich selbst, die sicher noch einige Tage nachklingen werden.
Wir sprachen mit Marijn und Jorrit über die Magie, die entsteht, wenn Stille und emotionale Klanglandschaften miteinander verschmelzen, über die Balance zwischen Intuition und Struktur und darüber, wie sie ihre persönlichen Geschichten in ihre Songs einfließen lassen.
Wie würdet ihr eure stilistischen Merkmale beschreiben? Wie darf HAEVN klingen und wie nicht?
Unser Sound ist eine Fusion aus cineastischen, emotionalen Klanglandschaften, die von Filmmusik inspiriert sind. Unsere Musik ist bekannt für ihre atmosphärischen, vielschichtigen Arrangements, die modernen Pop mit klassischen Elementen verschmelzen lassen. Was uns dabei auszeichnet, ist der Fokus auf emotionale Tiefe, bei dem jeder Ton und jede Melodie darauf ausgelegt ist, Gefühle zu wecken. Was gar nicht zu uns passt, ist ein überproduzierter oder zu kommerzieller Sound – wir legen mehr Wert auf einen organischen, authentischen Sound als darauf, Trends zu folgen.
„Wide Awake“ ist eher auf der emotional verletzlichen Seite unterwegs entgegen euren letzten Platten, die bewusst viel Raum für eigene Geschichten gelassen haben. Was waren die Beweggründe oder prägendsten Momente, die euch dazu ermutigt haben, euch auf dem Album diesmal verletzlicher zu zeigen?
Bei „Wide Awake“ wollten wir offener und ehrlicher sein, nicht nur mit uns selbst, sondern auch mit unseren Zuhörern. Das Leben hat uns durch verschiedene Schlüsselmomente, persönliche Herausforderungen, Wachstum und tiefe Selbstreflexion geführt. Wir fühlten uns bereit, diese Verletzlichkeit in unsere Musik einfließen zu lassen. Das Album fängt diese tiefere, introspektivere Seite ein, die stark von diesen persönlichen Erlebnissen beeinflusst wurde, wie Marijns Gesundheitsreise, die uns dazu gebracht hat, uns mit Emotionen zu konfrontieren, die wir vorher vielleicht zurückgehalten hätten.
Welches ist neben „One Day” und Marijn seiner Geschichte der persönlichste Song auf „Wide Awake“ und was ist die Story dahinter?
Neben „One Day“ hat „Till the Morning“ eine besondere persönliche Bedeutung für uns. Es ist ein Song über das Verlangen, in einer Beziehung zusammen zu sein, die kurz vor dem Scheitern steht. Es spiegelt die Verletzlichkeit wider, etwas noch einmal zu versuchen, einander wirklich zu verstehen, bevor es zu spät ist. Dieser Song berührt uns tief, weil er von der Hoffnung und dem Mut handelt, weiterhin um eine Verbindung zu kämpfen, auch wenn die Dinge sich unsicher anfühlen. Es ist ein Plädoyer für Heilung und gegenseitiges Verständnis, etwas, das wir alle in verschiedenen Formen erlebt haben, sei es in persönlichen Beziehungen oder in uns selbst.
In Amsterdam im Theater Carré werdet ihr als einzige Shows ein Orchester dabei haben. Wie schwierig ist es, das neue Album, das episch intensiv von einem orchestralen Gewand getragen wird, im Rahmen der Europa Tour nur mit einer kleinen Bandbesetzung so intim sphärisch auf die Bühne zu bringen?
Die orchestralen Arrangements auf „Wide Awake“ verleihen der Musik viel Textur und Tiefe, daher ist es definitiv eine Herausforderung, diese Intensität mit einer kleineren Band nachzubilden. Wir werden eine Streicherin mitnehmen und bei einigen Terminen besondere Gäste dabeihaben. Wir glauben, dass die intimen Settings der Europatour eine andere Energie hervorrufen werden – eine rohere, reduzierte Version des Albums. Wir planen, uns auf den emotionalen Kern jedes Songs zu konzentrieren und die Atmosphäre mit sorgfältiger Instrumentierung und Dynamik nachzubilden, während wir den Emotionen Raum zum Atmen geben.
Lasst uns übers Komponieren sprechen. Wie trefft ihr generell gemeinsam eure musikalischen Entscheidungen, im Writing sowie bei der Aufteilung der Thematiken. Seid ihr eher intuitive oder strategische Songwriter?
Unser Songwriting-Prozess ist weitgehend intuitiv. Wir lassen uns oft von der Musik leiten, beginnen mit einer Emotion oder einem Konzept, das wir vermitteln wollen und gestalten den Song dann entsprechend. Wenn es um die Aufteilung thematischer Elemente geht, geschieht das sehr organisch. Manchmal bringt einer von uns eine Idee ein und der andere baut darauf auf oder wir arbeiten gemeinsam daran, die passenden Worte oder Melodien zu finden, die das gewünschte Gefühl einfangen. Es gibt keine strikte Formel, aber wir vertrauen dem natürlichen Fluss unserer kreativen Dynamik und haben angefangen uns von unserer Intuition leiten zu lassen.
Ihr seid ein starkes Duo, aber auch absolut konträr in euren Persönlichkeiten und arbeitet vermutlich auch in unterschiedlichen Tempo. Wie funktioniert das bzw. wie ergänzt ihr euch?
Ja, wir haben unterschiedliche Persönlichkeiten und das ist etwas, das uns tatsächlich stärkt. Jorrit ist akribischer und auf die feinen Details fokussiert, während Marijn eher intuitiv und emotional arbeitet. Diese Balance ist das, was HAEVN ausmacht – eine Kombination aus Herz und Struktur. Eine Eigenschaft, die wir aneinander bewundern, ist die Resilienz – sei es angesichts persönlicher Herausforderungen oder kreativer Blockaden, wir teilen beide das Engagement, weiterzumachen und im Prozess Schönheit zu finden.
Wie würdet ihr diese emotional tiefere Ebene beschreiben, mit der ihr die Hörer durch eure Musik in eine transzendente Welt abtauchen lasst?
Unsere Musik soll ein Raum für Reflexion und emotionale Tiefe sein. Wir versuchen, eine Klanglandschaft zu schaffen, die es den Zuhörern ermöglicht, sich auf ihre eigenen Gefühle und Geschichten einzulassen. Wir hoffen, dass unser Klang und unsere Worte persönliche Erinnerungen oder Emotionen hervorrufen. Es wäre großartig, wenn unsere Songs in bestimmten Momenten als Soundtrack für das Leben der Zuhörer dienen könnten und Raum zum Nachdenken, Heilen oder Frieden finden bieten.
In eurer Musik geht es um Themen wie langsame Heilung, Wachstum und Vertrauen in das Unbekannte. Welche Möglichkeiten bietet dieses Mindset im Leben oder seid ihr vielleicht auch eher auf der vorsichtigen Seite unterwegs?
Wir sehen das Leben als eine kontinuierliche Reise des Wachstums. Ins Unbekannte zu vertrauen, ist schwierig, aber es bietet Chancen zur Entdeckung und zur tieferen Verbindung mit uns selbst und anderen. Wir machen uns diese Denkweise sowohl im Leben als auch in der Musik zu eigen, aber es ist nicht ohne Vorsicht. Es gibt immer eine Balance zwischen Loslassen und dem vorsichtigen Navigieren durch die Herausforderungen des Lebens. Letztendlich geht es darum, sowohl Mut als auch Geduld aufzubringen. Unsere musikalische Reise hat uns immer etwas über unsere Komfortzone hinausgeführt und wir glauben, dass genau dort die Magie passiert.
Stille ist ein fundamentales Thema & Stilmittel auf dem Album. Welche Energie liegt in der Stille und was macht diese Symbolik so essenziell für eure Kompositionen?
In unserer Musik liegt eine immense Kraft in der Stille. Sie repräsentiert Introspektion und den Raum zwischen den Emotionen. Wir glauben, dass oft das, was nicht gesagt oder gespielt wird, das meiste Gewicht trägt. Durch den Einsatz von Stille wollen wir dem Zuhörer die Möglichkeit geben, zu atmen, sich mit der Musik auseinanderzusetzen und die Emotionen noch tiefer zu spüren. Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm – sie erzeugt Spannung, schafft aber auch Momente der Klarheit und Stille.
Jorrit, du arbeitest auch als Filmkomponist. Was braucht es, um eine gute Geschichte mit einer emotionalen Wirkung musikalisch zu erzählen?
Eine Geschichte durch Musik zu erzählen bedeutet, das emotionale Spektrum einer Szene oder Figur zu verstehen. Man muss in die zugrunde liegenden Gefühle eintauchen und einen Klang schaffen, der diese verstärkt. Es geht nicht nur darum, was auf der Leinwand passiert, sondern auch darum, was man das Publikum fühlen lassen möchte. Bei HAEVN verfolgen wir einen ähnlichen Ansatz – jeder Song erzählt seine eigene Geschichte und wir wollen einen Soundtrack schaffen, der das emotionale Gewicht dieser Geschichte verstärkt, sei es persönlich oder universell.
Ich habe erkannt, dass man als Filmkomponist wirklich verstehen muss, wie sich verschiedene Emotionen anfühlen. Wenn du nie unerwiderte Liebe, Verlust oder die Tiefe des Verliebtseins erlebt hast, wird es schwierig, diese Gefühle authentisch durch Musik in einer Filmszene zu vermitteln.
Ihr habt mal erwähnt, dass HAEVN irgendwann auch ein Zusammenschluss werden könnte, bei dem Musiker verschiedener Nationalitäten und Genre zusammenkommen, um gemeinsam Neues zu erschaffen. Könnt ihr uns mehr zu der Vision erzählen?
Wir glauben tief an die Kraft der Kollaboration und die Idee, dass Musik eine universelle Sprache ist. Unsere Vision ist es, Künstler aus verschiedenen kulturellen Hintergründen und Genres zu vereinen, um etwas wirklich Einzigartiges zu schaffen. Für uns ist Musik die perfekte Harmonie unterschiedlicher Elemente, die im Gleichgewicht zusammenwirken. Wir glauben auch, dass der Prozess des Schreibens, Produzierens und Aufnehmens am besten ist, wenn er kollaborativ ist. Auf unserem Album „Wide Awake“ haben wir diese Idee weiterverfolgt, indem wir zwei Duette mit talentierten Freunden aufgenommen haben: Lily Meola aus den USA und Neco Novellas aus Mosambik.
Interview: Tanja Kilian
Foto: Hessel Stuut